Rezensionen zu Violeta Dinescu Flutes PlayEin Kompendium der Flötenklänge
Obwohl sie als Professorin in Oldenburg lehrt, ist die aus Rumänien stammende Komponistin Violeta Dinescu eng mit unserer Region verbunden. 2001 stand sie im Mittelpunkt der Tage für Neue Musik Weingarten. Ulm und Stuttgart haben viele Ihrer Uraufführungen erlebt, Ab 1982 waren Mannheim und Heidelberg erste Stationen. Nachdem sie mit Opern und Orchesterwerk sehr erfolgreich war, konzentriert sie sich heute stärker auf Kammermusik. Sie hat dafür eine eigene, ungewöhnliche Methode entwickelt: Ausschließlich ein Instrument wird in Zyklen von Stücken eingesetzt, die im Studio auch nur ein Interpret allein per Playback umsetzt. Auf „Flutes Play“ ist es der Flötist Ion Bogdan Stefanescu aus dem international renommierten Trio Contraste, mit dem Dinescu ständig zusammenarbeitet. In dem neuen, zehnteiligen Zyklus reihen sich Sätze für drei bis 32 Flöten – verbunden mit vier Solo-Intermezzi – zu einem großen Bogen. Alle Möglichkeiten der üblichen Querflöte, aber ebenso des Piccolo- und des Bassinstruments werden erschlossen. So bieten sich vielfältige Klangbeispiele auch für Studierende, etwa in Form von „multiphonics“ wie Überblas- und Flageolett-Techniken sowie zusätzlichen Vokalisen. - Mit einem ähnlichen, vorangehenden Zyklus für Cello und diesem Kompendium für Flöte nimmt Dinescu eine neue, ungewöhnliche Position unter heutigen Komponisten ein. Die rumänische Komponistin Violeta
Dinescu wurde durch die Situation in ihrem Heimatland in zwiespältiger Weise
geprägt: 1982 kehrte sie von einem Deutschland-Aufenthalt nicht mehr nach
Rumänien zurück, da die Gegebenheiten durch die Ceaucescu-Diktatur unerträglich
geworden waren. Eine profunde künstlerische Ausbildung hatte sie aber dennoch
am Konservatorium von Bukarest erhalten. Ihr Studium schloss Feldforschungen
der archaischen Volksmusik in entlegenen Karpatendörfern ebenso ein – wie
Begegnungen mit dem charismatischen Sergiu Celibidace. Von diesem erhielt
Violeta Dinescu maßgebliche Impulse, um an der Verfeinerung des Klangs immer
weiter zu arbeiten. Heute fließen solche Erfahrungen in ein sehr individuelles
und wagemutiges zeitgenössisches Musikideom ein, wie es in ihren
vielgestaltigen, sehr unterschiedlich besetzten Werken lebt. Eine Reise in das eigene Innere stellt
ihre aktuelle Arbeit für Flöten dar. „Flutes Play“ lautet der Titel und man
könnte das Wörtchen „Play“ zutreffend mit Theaterstück übersetzen – denn
tatsächlich scheinen hier viele erstaunliche (Klang-) Charaktere eine imaginäre
Bühne zu betreten. Die Bühne ist der weite Raum der psychischen Erfahrungswelt
dieser Komponistin, denn nach eigenem Bekunden soll dieser aktuelle
Kompositionszyklus die Gesamtheit von Violeta Dinescus Lebenserfahrungen
ästhetisch widerspiegeln. Und bei einem solchen Unterfangen sind natürlich ganz
viele verschiedenen Rollen, Charaktere, Gesten und Stimmungen im Spiel. Dies
alles bündelt sich auf dieser Aufnahme eindrücklich im deklamatorischen
Flötenspiel von Ion Bogdan Stefanescu. Er gehört zu den berufendsten
rumänischen Flötisten – und er ist auch international, nicht zuletzt durch die
Zusammenarbeiten mit James Galway, hoch geschätzt.Heraus kommt eine Hör-Erfahrung im
wörtlichen Sinne: Die Luftstöße des Flötisten werden zu physischer Energie,
einem Wind gleichkommend, der die Umgebung in unruhige Aufruhr versetzt. Oder
einen getriebenen Menschen assoziieren lassen, dessen Emotionen sich in bebendem
Atem niederschlagen. Glissandi suggerieren, dass es kaum Halt, aber viel Unruhe
gibt. Nichts muss, alles kann. Phrasen, Gedankensplitter und skizzenhafte
Momente stehen einerseits wie in einem Universum für sich – vor allem wenn sie
innehalten und im nächsten Moment wieder aufbrausen. Aber sie bilden auch
Entwicklungen und gehen verschlungene Wege, wie sie von einem bewegten Leben
vorgegeben werden. Die Zeitmaße sind frei beweglich ohne ein ordnendes Metrum,
um dem assoziierenden Fluss alle Freiheit zu geben. Um die ganze Komplexität
eines bewegten Lebens (-Raumes) zu durchmessen, verfielfältigt sich Bogdan
Stefanescus Flötenspiel manchmal bis hin zu achtfacher Mehrstimmigkeit. Overdub
macht es möglich. Man kann, ja muss sich wie in einer Art
Zen-Meditation in diese Klangwelt hinein fallen lassen. Risikofreudig und
gezielt bearbeitet Stefanescu den Flötenklang, erzeugt mikrotonale Schwebungen
und fast schon perkussiv wirkende Sforzati, zieht auch die eigene Stimme hinzu,
wenn er während des Anblasens zuweilen ins Instrument „hinein singt.“ Und er
bildet das gesamte Tonspektrum von einer solistischen Piccoloflöte bis hin zur
Bassflöte in diesem Spiel ab. Kompositorisch betrachtet liegt hier
ein Prozess der Aufspaltung vor. Das deklamatorische Spiel mit Gesten und
motivischen Entwicklungen kommt einer imaginären Sprache, einer Rede ohne
festgefügte Bedeutung gleich. Diese in der eigenen Gedankenwelt herzustellen,
bleibt Sache des fantasiebegabten Hörers. Stefan Pieper Klassik heute März 2015 |
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