Rezensionen gutingi 246
zur CD
Forgetmenot
– Im Zauberland der Klänge
Eine
neue CD mit Werken für Flöte von Violeta Dinescu
Wer
sich auf eine Entdeckungsreise zum Wesenhaften des Klanges und seiner
unendlich erscheinenden Modifikationen begeben möchte, dem sei die
im Jahr 2012 bei gutingi (Nr. 246) erschienene CD mit dem Titel
Forgetmenot ans Herz gelegt. Der international renommierte Flötist
Ion Bogdan Stefanescu interpretiert insgesamt elf Werke von Violeta
Dinescu.
Wer
sich auf eine Entdeckungsreise zum Wesenhaften des Klanges und seiner
unendlich erscheinenden Modifikationen begeben möchte, dem sei die
im Jahr 2012 bei gutingi (Nr. 246) erschienene CD
mit dem Titel Forgetmenot ans Herz gelegt. Der international
renommierte Flötist Ion Bogdan Stefanescu interpretiert insgesamt
elf Werke von Violeta Dinescu.
Dabei
kommen sämtliche Instrumente der Querflötenfamilie zum Einsatz,
ergänzt durch die altchinesische Dizi- Flöte und das volkstümliche,
im Klang etwas näselnde Kazoo. Stefanescus kongeniales Spiel
begeistert durch einen unermeßlichen Klangreichtum bis hin zur
magisch wirkenden Klanggestaltung, als würde der Gott Pan selber zum
Träumen und zur Tranzendenz in seinen Zaubergarten einladen. Dazu
wispert und singt Stefanescu, spielt mit Luft- und Klanggeräuschen,
sowie weiteren rhythmisch-perkussiven Elementen, verfremdet die
manchmal rituell anmutenden Melodiewendungen (teilweise an die
rumänische und an fernöstlich-archaische Folklore anklingend) durch
Flatterzungeneffekte und Obertonklänge, die sich bei den
Bassflötenstücken Circuit V und Le double silence besonders
reizvoll entfalten, einen geheimnisvollen Klanginnenraum auslotend.
Die genau auskomponierten, rhapsodisch-improvisatorisch anmutenden
Klanggesten und Melodiegestaltungen Dinescus erscheinen dadurch in
immer wieder neuen Perspektiven, und auch häufig anzutreffende
altbekannte Intervallstrukturen wie Terz, Septime und Tritonus
bekommen eine neu aufleuchtende Klangaura. „Komponieren heißt für
mich, einen Hauch von Wind in diese Klangräume zu bringen, so dass
sie ins Leben kommen.“ (V.D.) Wer sich dem öffnet wird in
Forgetmenot reichhaltige Anregungen für eine Reise ins Zauberland
der Klänge und ihre geheimnisvollen Verwandlungen finden. Im
ansprechenden und gehaltvoll gestalteten zweisprachigen Booklet
(deutsch/englisch) finden sich ausführliche Beschreibungen zu den
einzelnen Werken und zum Gesamtkonzept der CD
durch Egbert Hiller und Informationen über den Interpreten und die
in Oldenburg lebende rumänische Komponistin.
NMZ
Februar 2013, Christoph J. Keller
Mit
elf Solostücken für Flöte(n) von Violeta Dinescu präsentiert der
ebenfalls aus Rumänien stammende Flötist Ion Bogdan Stefanescu ein
Hörerlebnis, das man nicht so schnell „vergessen“ wird. Den
Rahmen der einstündigen Performance, durch den Einsatz von Flöten
in verschiedenen Lagen klanglich reizvoll erweitert, bilden sechs
miteinander verwandte, Circuit genannte Stücke (I mit Piccolo, II
mit Altflöte, III kontrastierend mit chinesischer Dizi flute und
Kazoo, IV mit normaler Flöte, V mit Bassflöte und VI mit allen vier
Flötengrößen). Dazwischen erklingen fünf Stücke mit eigenen
Titeln: Immagini und Doru (normale Flöte), le double silence
(Bassflöte), Immaginabile (Piccolo) und Forgetmenot (Piccolo,
normale Flöte, Altflöte und Bassflöte). Die „Rundreise“, wie
man „circuit“ u. a. auch übersetzen könnte, endet mit einem
simultan aus Elementen der fünf bereits erklungenen Circuits
zusammengefügten Stück: ein überzeugender Einfall, leider zu
kurz.
Das deutsch- und englischsprachige Booklet informiert
einfühlsam und ausführlich über die ausgewählten Stücke, den
Flötisten und die Arbeitsweise der Komponistin. Stefanescu weiß die
Freiheiten der bekanntermaßen stark bildlich ausgearbeiteten
handschriftlichen Partituren Dinescus zu nutzen, er bringt ihre Musik
geprägt und gefiltert durch seine Persönlichkeit zum Erklingen –
eine ganz besondere Symbiose von Komponistin und Interpret. Brillanz
und Subtilität seines auch die Stimme einbeziehenden Spiels sind
bewundernswert locker und von überzeugender Präsenz, unterstützen
die gestische Wirkung der Musik einer mit Erfolg auch für das
Theater arbeitenden Komponistin. Staunenswert, welche klangliche
Vielfalt er der Flöte zu entlocken vermag, melodisch und rhythmisch
fraktioniert, zersplittert, fragil, fließend, in der Bewegung. Dass
die Werke ihm gewidmet sind, versteht sich da von selbst.
Komponieren
bedeutet für Dinescu, wie sie selbst sagt, die in ihr (und im
Menschen überhaupt) vorhandenen Klänge real zum Klingen zu bringen.
Ihr Streben nach Ausdruck zielt in erster Linie auf Klang, darüber
hinausgehende Expressivität ist nicht unbedingt intendiert. Ihre
Klangvisionen werden hier mithilfe erweiterter Techniken realisiert,
wie sie sich in der Flötentechnik mittlerweile fest etabliert haben.
Dass Zahlen und Proportionen die Basis für ihr Komponieren bilden,
das hört man zwar nicht, es gibt ihr aber, wie sie sagt, eine
gewisse Sicherheit. Eine Rolle in ihrer Musik spielt auch die
rumänische Folklore, deren Elemente sie durch eine Art
„Nachkomponieren“ von etwas, das schon lange existiert,
mosaikartig einfließen lässt.
Im
Gegensatz zum Konzert lässt die CD beim Hören die Wiederholung zu,
auch in beliebiger Reihenfolge, um die Wahrnehmung zu aktivieren –
dies besonders bei den Stücken, für die keine Noten zur Verfügung
stehen. Nur Immagini, Doru und Immaginabile sind verlegt und daher
nachspielbar. Stefanescus Vorschlag jedoch, zuerst alle Stücke
hintereinander zu hören, und dann jeweils nur ein Stück an
verschiedenen Tagen des Jahres (weil sich dadurch spirituelles Gefühl
und Körpergefühl völlig verändern würden), stellt hoffentlich
nicht die einzige Möglichkeit dar, das zu genießen, was in Violeta
Dinescus „Zaubergarten“ geboten wird.
Das Orchester,
Juni 2013, Ursula
Pešek
In neuen Flötensphären
„Ich versuche Klänge,
die schon längst existieren und nur für andere noch unhörbar sind, ins Leben zu bringen.
Komponieren heißt für mich, einen
Hauch von Wind in diese Klangräume zu bringen. Man öffnet eine Tür, die in einen
Zaubergarten führt - wie Alice im Wunderland.“ Bei dieser „Zaubergärtnerin“ handelt es sich um die Komponistin und ehemalige Baldreit-Stipendiatin Violeta Dinescu, deren neue CD unter dem schönen Blumennamen „Forgetmenot“
gerade erschienen ist. Es sind
allesamt Stücke für Flöte solo, einem
ihrer bevorzugten Instrumente,
was mit ihrer geistigen Nähe zur traditionellen Volksmusik ihres Heimatlandes
zu tun hat. Zwar imitiert sie die rumänische Folklore keineswegs im Sinne
purer Wiederholung. Sie lässt aber durchaus Anklänge daran in ihre von Spannungen zwischen hoher
Expressivität und meditativer Versenkung bestimmten Kompositionen einfließen. Schon der Titel „Doru“
weist darauf hin: Damit ist einerseits Sehnsucht gemeint, zum anderen bezeichnet es das
Hauptthema eines alten
Volksliedes, dessen Ursprünge im heutigen Moldawien zu verorten sind. in anderen Werken wird spürbar, wie Violeta Dinescu die wachsende Komplexität der
Moderne und die Zersplitterung des Daseins
in spezifischen Klangfarben oder
Spieltechniken darstellt. in „Immagini“ etwa erstellt sie aus wenigen
Tonpartikeln eine breite Palette
klanglicher Möglichkeiten. Darüber hinaus
ist hier die Notation flexibel gehalten, was eine kreative Gestaltung des Flötisten zulässt. Ion Bogdan
Stefanescu, der wie die Komponistin
selbst aus Rumänien stammt, ist der Ideal-Interpret dieser Musik zwischen festen Vorgaben und
klanglich-rhythmischer Ausgestaltung. Auch Anregungen aus der Literatur spielen
für Violeta Dinescu eine große Rolle. So im Stück „Das
doppelte Schweigen“ für Bassflöte, in
dem sie sich dem berühmten Roman „Der Fremde“ von Albert Camus zuwendet. Wer
sich für zeitgenössische Flötenmusik und deren Kristallisation in verschiedenen Klangsphären interessiert, wird die CD mit ihren
elf Stücken schätzen. Für Neulinge
im Bereich der Jetzt-Musik empfiehlt der Interpret „die ganze CD einmal
komplett zu hören. Danach sollte man elf Tage des Jahres aussuchen und jeweils
nur ein Werk hören. Ihr
spirituelles Gefühl und das Körpergefühl werden sich total verändern.“
Badisches Tagblatt Juli 2012, Udo
Barth