Rezensionen gutingi 106

gutingi 106

Die hier zur Diskussion stehende Aufnahme ist nicht mehr taufrisch – immerhin produziert vor fast 20 Jahren, also schon gewissermaßen „historisch“. Gerrit Zitterbart, ein deutscher Pianist, spielt Chopin, befindet sich mithin im internationalen Wettbewerb um Kronjuwelen im Bereich eines nationalen Volkshelden, eines Komponisten, der immer wieder von den Einheimischen als einzig und allein seelig machend bezeichnet und nach Kräften auch verteidigt worden ist (Koczalski, Rubinstein, Malcuczinski, Ekier, Sztompka, Czerny-Stefanka, Askenase, Harasiewicz, Smendzianka, Zimerman, Blechacz etc.). Die gutingi-Veröffentlichung darf man ohne schlechtes Gewissen als puristisch bezeichnen: Karton-Hülle (Platz sparend immerhin, kein Begleitheft!), aber immerhin auf der Coverrückseite – gut leserlich! – erhält man die nötigsten Informationen was das Aufnahmedatum, den Aufnahmeort und die für die Produktion der Mitverantwortlichen anbelangt (unter anderen den Tonmeister Andreas Spreer, der sich später um das Label Tacet verdient machen sollte).

Zitterbart eröffnet seine Chopin-Botschaft mit dem Andante spianato, sorgfältig ausgeleuchtet in der oft in ihrer Bedeutung unterschätzten Behandlung der grundierenden Begleitmodulation. Im Lyrischen der Oberstimme lässt es Zitterbart nicht an Einfühlung für das Schöne und im besten Sinne Süßliche vermissen – und auch die immer wieder etwas steif anmutende „Orchesterüberleitung“ zur Polonaise hat Kraft und Saft. Mit der brillanten Polonaise wird man in Kenntnis mancher Einspielungen von (A)rgerich bis (Z)imerman nicht unbedingt zufrieden sein, was die Spritzigkeit in den explosiven, sozusagen weit über die Tastatur schnurrenden und glitzernden Passagen anbelangt. Aber Zitterbart zieht sich durchaus achtbar aus der Affäre.

Alles hier Gesagte und zu Papier gebrachte wage ich auch auf die übrigen präsentierten Werke zu übertragen: Solide Aufmerksamkeit im Hinblick auf die jeweiligen Stück-Charaktere, solide Technik, unauffällige gestalterische Natürlichkeit im Sinne guter deutsch-polnischer Beziehungen. In Summe: Zitterbart wird mit seinen Chopin-Darbietungen nicht die allergrößte Aufregung auslösen, aber es zeigt sich auch, dass sich in heimischen Gefilden gelegentlich Interpreten musikantisch zu Wort melden, die durchaus einen eigenen Zugang zum Werk des polnisch-französischen Meisters haben – und selbst mit den so verletzlichen, national-geheiligten Mazurken ordentlich, ja bisweilen sogar Aufmerksamkeit erregend umzugehen verstehen.
Klassik heute Februar 2011, Peter Cossé



 
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