Violeta Dinescu: Tabu - Rezensionen

Trio Contraste
gutingi 243

Zwischen Tag und Traum
Die 1953 in Bukarest geborene Violeta Dinescu wagt anhand acht Kompositionen ein ‚Vortasten in seelische Regionen‘, Gegenden, welche wohl nur im Traum gefunden werden können und so realitätsfern sind, dass zunächst droht, sich in diesem Dschungelgeflecht aus Klängen und Eindrücken zu verirren und zu verfangen. Wer jedoch Zugang zu dieser Art von Musik findet, für den erweist sie sich als Portal zu einer anderen Welt.
Der Begriff ‚Tabu‘ spielt vor allem in archaischen Gesellschaften eine große Rolle, und diese Parallele zu indigenen Völkern ist ganz bewusst gelegt. Der Ausbruch aus den klassischen Kompositionsregeln hat etwas Wildes und Rohes, gar Unheimliches an sich. Jedoch hält in den ‚Naturreligionen‘ jeder Tabubruch einen heiligen Moment inne, welcher in seiner Numinosität abschreckend und anziehend, abstoßend und faszinierend zugleich ist. Dieses Spannungsfeld zeigt sich ganz deutlich in Dinescus Musik. Ihr Ausdruck für Unaussprechliches zieht den Hörer in Bann, starke innere Unruhe, ja sogar Wut mit sich ziehend. Entspannung bleibt völlig ausgeschlossen.
Vor allem das Stück 'Tabu' hält einige Überraschungen bereit. Es beginnt mit einem zarten, frühlingshaften Thema zwischen 'Carmina Burana' und rumänischem Volksgut und verliert sich anschließend in Trommeln und dem Trompeten vermeintlicher Elefanten. Herauszugreifen ist auch 'Lun-Ju' für Schlagzeug und Synthesizer, ein Stück, das einem Traum gleicht, genauer: einem Albtraum. Äußerst beunruhigende und unheimliche Klangeindrücke, die vor allem durch den verzerrten Orgelklang des Synthesizers entstehen, provozieren ein starkes Déjà-vu verdrängter Albträume, dass von einem ‚Hörvergnügen‘ nicht die Rede sein kann. Das Eingangsstück 'Auf der Suche nach Mozart' lässt zunächst eine Rückbesinnung auf die Klassik vermuten; letztere ist aber nur mit sehr viel Phantasie auszumachen. Winzige Fragmente wie z. B. aus 'Der Hölle Rache' nennt Egbert Hiller im Booklet ‚mozärtliche Klangmomente‘, mehr jedoch ist es nicht. Dieses äußerst komplexe Tongeflecht führt den Hörer tatsächlich auf die Suche nach Mozart, wirklich finden kann man ihn nicht (und soll es vermutlich auch nicht).
Das Trio Contraste schafft es, die verschiedenen Techniken, welche die unterschiedlichen Stücke fordern, perfekt in Klang umzusetzen. Mag auch diese Art von Musik für Profis wie S. Petrescu (Klavier), I. B. Stefanescu (Flöte) und D. Roman (Schlagzeug) keine Schwierigkeiten in tonaler Hinsicht aufweisen – rhythmisch stellt sie eine große Herausforderung dar, und auch diesbezüglich agiert das Ensemble exzellent. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass diese CD für Liebhaber zeitgenössischer Musik Komposition Interessantes bereithält, das Gelegenheit dazu bietet, in neue musikalische Sphären eintauchen lassen.
klassik.com,  Johanna Gastager, März 2011

Auch Hörer von sensiblem Gemüt brauchen sich keine Sorgen zu machen, wenn sie dieses Album mit dem Titel Tabu in das Gerät einlegen; es werden dort nicht etwa Grenzen des guten Geschmacks überschritten, wie der Titel vermuten lassen könnte. Stattdessen handelt es sich um ein sehr reichhaltiges Porträt der Komponistin Violeta Dinescu, einer gebürtigen Rumänin, die seit mittlerweile über drei Jahrzehnten in Deutschland lebt und seit 1996 eine Kompositionsprofessur in Oldenburg bekleidet. Dieses Porträt ist besonders aussagekräftig, weil die Besetzung des rumänischen Trio Contraste mit Flöte, Klavier und Schlagzeug nicht, beziehungsweise nur innerhalb der Grenzen der betreffenden Instrumentengruppen variiert und dadurch die stilistische Bandbreite der sechs vorgestellten Werke umso beeindruckender hervortritt.

Der Titel Tabu bezieht sich auf F. W. Murnaus gleichnamigen Stummfilm von 1929/30, der in der Südsee spielt und zu dem Violeta Dinescu 1988 eine Filmmusik beisteuerte, aus der sie 2003 die vorliegende Trio-Fassung erstellte. Eben dieses Trio hebt sich unter den fünf anderen Stücken heraus, weil Dinescu hier – wohl als Resultat der funktionalen Bindung der Musik als Begleitung für einen Film –, am stärksten einen bestimmten Stil, nämlich den eines tonal ganz leicht eingängigen und sehr motorischen Neoklassizismus anschlägt. Die historische Referenz könnte der Strawinsky etwa der Petruschka-Zeit sein. Gespielt wird das vom rumänischen Trio Contraste (nicht zu verwechseln mit anderen Trio-Formationen desselben Namens) sehr anspringend; besonders durch eine ausgefeilte Dynamik versuchen sie höchst erfolgreich, der künstlichen Simplizität der Musik zu begegnen. So trägt diese Musik auch ohne gleichzeitige Filmaufführung – als Film zum Hören.

Die übrigen Werke zeigen stärker das Eigentliche von Dinescus Musiksprache, gewissermaßen das Wesen ihres Stils, das man als eine Form der komponierten Interpretation bezeichnen könnte. Das Duo Kata von 1990 etwa nutzt viele Effekte der Flöte, Überblasen, gleichzeitiges Mitsingen und multiphonics, die aber gleichsam leichthändig, spontan wirkend eingesetzt werden. Auch im Trio Et pourtant c’est mieux qu’en hiver … („Und dennoch ist es besser als im Winter …“) teilt sich dem Hörer kein übergreifender, formaler oder musikserieller Plan mit; im Gegenteil ist die Musik sehr freiheitlich, lässt atmen, ist durchaus genießbar, äußert sich also in scheinbarer Assoziation oder Improvisation, oder, wie der sehr informierte Egbert Hiller es beschreibt, als „Psychogramm“. In diesem Kontext gewinnen wohl auch die in den anderen Werken eingesetzten Synthesizer-Klänge, etwa die Orgel in Lun-Ju, ihren assoziativen Sinn. Gemein haben diese Stücke, so unterschiedlich sie auch angelegt sind, dass sie das Vokabular der Neuen Musik sehr sinnlich und in einladender statt verstörender Weise vorstellen. Weil das Trio Contraste alle Werke mit Präzision und Klangschönheit gleichermaßen vorstellt, könnte man diese CD als Einstieg in zeitgenössisches Komponieren hören – fern von allen Tabus.
Klassik heute, Januar 2011, Michael B. Weiß

Die europaweit häufig aufgeführte Komponistin Violeta Dinescu, 1953 in Bukarest geboren, seit 1982 in Deutschland lebend und seit 1996 Professorin an der Uni Oldenburg, ist vielfach mit der Region verbunden: Orchesterwerke von ihr wurden seit den 80ern in Ulm uraufgeführt, zuletzt „Vortex“ 1998 im Stadthaus, dem Theater hat sie die Ballettmusik „Der Kreisel“ geliefert. Auch mit einer Kammeroper in Stuttgart und ihrer Stummfilmmusik zu Friedrich Wilhelm Murnaus Klassiker „Tabu“ auf einem Esslinger Festival 1995 war sie präsent. In Karlsruhe setzte sie sich 2009 mit einem eigenen, auf einer CD (bei Wendel-Podium, Karlsruhe, erschienen) dokumentierten Klavierwettbewerb auf der Basis ihres Zyklus „Märchen“ für die Förderung Jugendlicher ein. Eine Wiederbegegnung per Tonträger mit Dinescu ist jetzt dank einer vom Deutschlandfunk co-produzierten Disc möglich. Das rumänische „Trio Contraste“ aus dem Flötisten Ion Bogdan Stefánescu, dem Pianisten Sorin Petrescu und dem Schlagwerker Doru Roman wartet mit einer großen Klangpalette auf. Die drei Musiker, von denen jeder noch eine Anzahl weiterer Instrumente spielt, bieten darauf neben sieben vielgestaltigen Kammermusikwerken, zum Teil dem Trio gewidmet, auch ein 15-minütiges Arrangement von „Tabu“. Dieses kaleidoskophaft farbige, rhythmisch spannende und dynamisch entwickelte Stück fasziniert in seiner exotisch wirkenden Bildhaftigkeit besonders stark. In idealer Weise werden auf dieser CD der Ideenreichtum der Komponistin und die Virtuosität des „Trios Contraste“ verbunden. Auf jeden Fall hörenswert!
SZ Kulturbörse, Januar 2011, Günter Buhles


Sie wurde bekannt durch Opern wie "Eréndira", "Schachnovelle" und vor allem durch die Vertonung des Stummfilmklassikers "Tabu". Dass die rumänische Komponistin Violeta Dinescu sehr wohl auch die "kleine Form" beherrscht, beweist die neue CD des Trios Contraste, das sich in verschiedenen Formationen - mit Flöte, Schlagwerk und Klavier - vor allem zeitgenössischer Musik widmet. Mittelpunkt dieser Platte mit Kammermusik von Dinescu ist das sinnlich flirrende "Tabu", hier in einer komprimierten Fassung. Auch Kompositionen wie das in schwingendem Musiziergestus interpretierte "Kata", das von fernöstlichen Gefilden inspirierte "Lun Yun", oder die nach mathematischen Strukturen konzipierten "Arabesques" beweisen: Neue Musik muss keineswegs dröge klingen - diese CD ist Faszination pur!
Lifestyle, Januar 2011, Dagmar Zurek






 
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